Der Mensch auf der Suche nach Sicherheit!

Über das Wohlfühlen abseits des Wellness - Trends

Seit 14 Jahren arbeite ich in eigener Praxis als psychologischer Berater sowie als Familien- und Sozialtherapeut. Eine wesentliche Bereicherung in meinem Leben stellte auf alle Fälle auch die Somatic Experiencing® (SE) Ausbildung dar, ein körperorientierter Ansatz zur Lösung von traumatischem Stress. In meiner Arbeit verläuft die Grenze zwischen psychologischer Beratung, Sozialtherapie und Traumalösen fließend. 

Eine wesentliche Essenz für „a gsundes Leben“ ist der Zugang zur sowieso in uns angelegten Fähigkeit immer wieder in den Zustand von Sicherheit und Geborgenheit zu surfen. Faszinierenderweise ist dafür unser autonomes Nervensystem zuständig. Es sorgt nämlich für die drei symptomalen Zustände der Sicherheit, Herausforderung und Überforderung. Auch da sind die Grenzen fließend. 

Also ein super interessantes erstes Thema für meine neue Blogreihe. 

Und nun, wie geht das eigentlich, das sich sicher und geborgen fühlen? In einer Welt voll von Unvorhersehbarkeiten und Stressoren!

Für mich ein faszinierendes Thema. Kein Wunder. Ich verdiene auch meine Brötchen damit. Wie ich das meine? Über meine Arbeit in der Nacht-Gastronomie, in Wohneinrichtungen, als Bewährungshelfer und durch meine eigene Geschichte, erwachte und entwickelte sich in mir das Interesse zu verstehen, was es braucht, um den Zustand des sich Sicher- und Wohlfühlens zu erreichen und aufrechtzuerhalten.

Mittlerweile arbeite ich in eigener Praxis als Familien- und Sozialtherapeut.


Zu mir kommen Menschen mit den unterschiedlichsten Fragestellungen.

Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass hinter den individuellen Schicksalen eine gemeinsame Grundproblematik steckt.

An dieser leiden die Menschen am meisten.
Diese Grundproblematik besteht darin, dass es Menschen zusätzlich zu ihren aktuellen Problemen schwerfällt, den mit diesen Problemen einhergehenden psychischen Stress, körperlichen Schmerz und Unruhe, negative Gefühle wie Wut und Angst umzugehen. Man bleibt dann im symptomalen Zustand von Herausforderung bzw. Überforderung stecken. Und das verstärkt dann wieder…logo…die aktuellen Probleme. Ein Teufelskreis. Und das wirkt dann auch stark belastend und hinderlich auf das Führen von glücklichen und erfüllten Beziehungen.

Diesen Zustand kann man auch den Überlebens-Modus nennen. Wenn ich in diesem Modus bin, sucht mein Organismus ständig nach einer Lösung aus der unaushaltbaren Situation.

Das ist wertvoll in einem bestimmten Moment von großer Gefahr bis hin zu echter Lebensbedrohung. Denken Sie nur daran, wie es ist sich den Fuß zu verstauchen und Sie müssen es noch bis zu einem sicheren Ort an der Hilfe wartet schaffen. Weg von diesen Bedrohungsherden will aber ein anderer Teil des Menschen leben – jener, der aus sich heraus voller Neugier das Leben entdeckt, prägt und füllt – und so eine tiefe existenzielle Erfüllung und Lebensfreude findet.

Viele Betroffene und auch viele BeraterInnen und TherapeutInnen suchen rein kognitiv und emotional danach, das momentane Problem zu lösen. Häufig merkt man dann, dass das nicht genügt. Das Problem ist weg oder verändert sich, aber der innere Überlebens-Modus bleibt auf An geschaltet. 

Ich möchte hier auf die grandiose Autorin, Therapeutin und Beraterin Deb Dana, aufmerksam machen. Sie schreibt in ihrem Buch; „den Rhythmus der Regulation nutzen“:

Wir kommen mit der Anlage in diese Welt, zu anderen Menschen in Verbindung zu treten. Von unserem ersten Atemzug an streben wir unser ganzes Leben lang danach, uns in unseren Körper, der Umgebung, in der wir uns aufhalten, und in unseren Beziehungen zu anderen Menschen sicher zu fühlen. Unser autonomes Nervensystem ist unser persönliches Observationssystem, das ständig im Einsatz ist und unablässig fragt: „Ist dies sicher?“ Sein Ziel ist, uns zu schützen, indem es Situationen als sicher oder gefährlich identifiziert und Augenblick für Augenblick lauscht, was in unseren Körper, um ihn her und in unserem Austausch mit anderen Menschen geschieht. Dieses Lauschen findet weit unterhalb der Schwelle dessen, was wir wahrnehmen, und außerhalb der Kontrolle unseres Bewusstseins statt. Unser autonomes Nervensystem ist die Kommandozentrale. Es sucht ständig um Anzeichen für Sicherheit, Gefahr und Lebensgefahr zu erkennen. Und das ohne, dass die kognitiven Areale unseres Gehirns im Spiel sind. Interessant nicht!?

Die oben erklärte "polyvagale Theorie"

Ein Schweizer Kollege, der Psychotherapeut Urs Hohnauer verwendet die Metapher eines mehrstöckigen Hauses, um die Arbeit unseres vegetativen Nervensystems zu beschreiben. In dieser Metapher befindet sich der Mensch im Parterre, im ersten und im zweiten Stock.

Im Parterre ist er geborgen, sicher, mit dem Moment verbunden. Dies ist der Ort, wo wir ausruhen und uns regenerieren können. Im ersten Stock ist die Action angesiedelt; der Mensch ist in Bewegung. Im zweiten Stock geht das biologische System in einen Zustand der Erstarrung über. Dort landet der Mensch bei großer Bedrohung, wenn er Angst hat, sich hilflos und stark verunsichert fühlt.

Sicherheit hat im menschlichen Organismus oberste Priorität; der Mensch sucht instinktiv nach dem Parterre. Ist er einer Gefahr ausgesetzt, bewegt er sich in den ersten Stock und versucht zu flüchten oder zu kämpfen. Findet er so keine Lösung, steigt er instinktiv ins zweite Stockwerk, in die Erstarrung.


Es ist aber nicht die Idee, dass ein Mensch sich nur noch im Parterre aufhält – das wäre langweilig. Die Kunst ist das Surfen zwischen den Stockwerken, je nach Lebenssituation. Ich beobachte jedoch, dass viele Leute das nicht mehr können, weil sie im ersten und zweiten Stock stecken geblieben sind. Im Gefahren- und Überlebensmodus. Wenn jemand von den drei Stockwerken das Parterre verloren hat, befindet er sich in einer anhaltenden Unsicherheit.


Das Thema ist allgegenwärtig. Es ist eine Lebenskunst, diese Inseln der Sicherheit immer wieder zu finden. Die neue Blogreihe wird sich damit beschäftigen, wie es gelingt, sein Parterre wohnlich zu gestalten. Und welche Bedingungen und Fähigkeiten es braucht, um zwischen den Stockwerken surfen zu lernen.


Verwendete Literatur:

  • Deb Dana; Die Polyvagal-Theorie in der Therapie: Den Rhythmus der Regulation nutzen; G. P. Probst Verlag; 3. Edition (26. Februar 2021)
  • Honauer Urs (Artikel-Cigar-2011). Vom Verlust der inneren Sicherheit. Abgerufen 26.07.2021, von https://www.polarity.se/dbFile/1689/u-68e2
  • Schafhuber Rainer. Mein Arbeitsansatz. www.rainer-schafhuber.at

 

Bild: Polyvagale Theorie – https://www.lernenundentwickeln.ch/2015/12/31/die-polyvagale-theorie-von-stephen-porges/